Donnerstag, 25. Juni 2015

Fletschhorn - Nordwand

Auf Spuren von Österreichern am Schweizer Fast-Viertausender mit Blick nach Italien.

Als diese imposante Nordwandroute vor über 50 Jahren von Erich Vanis und Kollegen erstmals begangen wurde, gab es zwischen Simplon-Egga und dem Wandeinstieg noch keine feste Unterkunft. Man biwakierte im Freien am Fuss des Ostgrates der Sengchuppa oder etwas südwestlich davon in Richtung Rossbodengletscher.
Dagegen bietet das Biwak Piero de Zen, das Ende der 90er Jahre von der SAC Sektion Brig zusammen mit Bergsteigern aus dem Piemont auf über 3.000 m Höhe errichtet wurde, ein Minimum an Komfort, um für eine Begehung der Wiener Route gewappnet zu sein: Einen trockenen und windgeschützten Schlafplatz mit Wolldecken und Kochgeschirr. Ein Minimum an Komfort, mehr nicht.

Fletschhorn N-Wand mit Wiener Route im rechten Teil
Offiziell hat es 9 Plätze, aber ab 5 wird es sicher eng und ungemütlich. Gut, dass wir gerade zu viert waren, nachdem sich kurz vor der Abenddämmerung noch ein Walliser Bergführer mit seiner Tochter zu uns in die Blechschachtel gesellten. Sie hatten das gleiche Ziel am nächsten Tag, wollten jedoch mit Ski die Wand wieder abfahren.
Roger kurz vor Tagesanbruch
Wecken war um 3.45 Uhr angesagt und eine gute halbe Stunde später befanden wir uns schon auf dem Weg zum Bergschrund, der relativ problemlos zu überschreiten war.

So richtig gut geschlafen hat keiner von uns, was sicher an der Höhe, aber auch an der Anspannung lag.
Die Wand selbst war gut zu begehen, es gab viele Firnpassagen sowie einige Bruchharschabschnitte mit weniger verfestigtem Untergrund. Roger ging voraus, ich mit etwas flauem Gefühl in der Magengegend hinterher. Das Seil benötigten wir angesichts der guten Verhältnisse nicht.

Im mittleren Wandteil (Foto R. Gasser)

Nach einer knappen Stunde war die markante Felsinsel erreicht, die wir links umgingen, nach einer weiteren Stunde galt es, einen Durchschlupf bei der Gratwächte zu finden. Die Wand hatte sich hier auf ca. 55 Grad aufgesteilt, die letzten 2 Meter erforderten nochmal die volle Konzentration, bevor wir über einen spektakulären Wächtenausschnitt auf dem flachen und windigen Gipfelgrat aussteigen konnten.

Kurz vor dem Ausstieg (Foto R. Gasser)
Es trennten uns noch eine halbe Stunde Gratwanderung zum Fletschhorn Gipfel. Interessanterweise markiert das hölzerne Gipfelkreuz nicht den höchsten Punkt: Die Firnkalotte ist doch um einige Meter höher. Ob es das Fletschhorn irgendwann einmal zum Viertausender schafft?

Unsere Walliser Verfolger entschlossen sich angesichts der unterschiedlichen Firnverhältnisse doch gegen eine Steilabfahrt durch die Wand und nahmen den Normalweg unter die Bretter. Unser Abstieg in Saastal war eigentlich reine Formsache, wenn auch ein kleiner unscheinbarer Bergschrund nochmal eine Wochendosis an Adrenalin ausschüttete.

Egga/Simplon (1.580 m) - Biwak de Zen (3.014 m) - Fletschhorn (3.985 m)
Biwak - Gratausstieg (3 Std.) - Gipfel (40 min.)
Schöne ÖV-Tour
Fotos: Roger Gasser